Schielen

Wenn ein Mensch schielt, dann blicken seine beiden Augen nicht in die gleiche Richtung. Ein Auge «wandert davon» bei dem Versuch, einen Gegenstand oder einen anderen Menschen zu fixieren. Passiert dies, ist das ein Zeichen dafür, dass das Gehirn die Bilder nicht mehr richtig zusammenfügen kann. Als Folge des Schielens nimmt der Betroffene oder die Betroffene sogenannte Doppelbilder wahr. 

Das Schielen, medizinisch Strabismus genannt, ist – entgegen einer weitläufigen Meinung – weder harmlos noch niedlich oder ein simpler Schönheitsfehler. Das Schielen ist eine Sehbehinderung, die eine Störung des beidäugigen und dreidimensionalen Sehens bewirkt und die zwingend einer augenärztlichen Abklärung bedarf. 

Akut auftretende Doppelbilder oder ein akut auftretendes Schielen sind augenärztliche Notfälle.  

Symptome

Charakteristisch für das Schielen ist zunächst die Fehlstellung der Augen, wodurch der Blick der Augen in unterschiedliche Richtungen geht. Der Ursprung des Schielens liegt in der Regel in der Abweichung einer der beiden Augenachsen von der Normalstellung (Parallelstellung) nach innen oder nach aussen. 

Zum Schielen kommen jedoch oftmals weitere Symptome hinzu: 

  • brennende beziehungsweise zitternde Augen 
  • Konzentrationsprobleme 
  • erhöhte Lichtempfindlichkeit 
  • Kopfschmerzen 
  • das Schiefhalten des Kopfes 
  • Blinzeln oder Zwinkern 
  • eine Leseschwäche 
  • die Ungeschicklichkeit beim Greifen von Gegenständen 

Dabei hängen die einzelnen Symptome von der jeweiligen Form des Schielens ab: 

Latentes Schielen (sogenannte Heterophorie): Hier stehen die Augenmuskeln nicht im Gleichgewicht zueinander, wobei das menschliche Gehirn in der Lage ist, dieses Ungleichgewicht auszugleichen und für eine Verschmelzung der beiden Seheindrücke zu sorgen, was dann wiederum zu einem normalen Sehen führt. Oft ist diese Form des Schielens nicht wahrnehmbar beziehungsweise sie tritt erst sichtbar zu Tage, wenn der Betroffene oder die Betroffene Faktoren, die das Schielen begünstigen, etwa Ermüdung, Stress, Alkohol, einer psychischen Belastung oder einer allgemeinen Erkrankung ausgesetzt ist. Begleitsymptome sind: Kopfschmerzen, rasches Ermüden, verschwommenes Sehen oder das Sehen von Doppelbildern.

Begleitschielen (sogenannter Strabismus concomitans): Bei dieser Form des Schielens ist es dem Betroffenen beziehungsweise der Betroffenen nicht möglich, eigenständig das Ungleichgewicht der Augenmuskulatur auszugleichen, was bedeutet, dass sich die Sehachsen beider Augen nicht automatisch auf dasselbe Objekt richten können, weshalb der unterschiedliche Sichtwinkel auch bei der Bewegung der Augen bestehen bleibt. Häufig kommt zum Begleitschielen eine leichte Form der Weitsichtigkeit hinzu. Schielt der Patient oder die Patientin nur auf einem Auge, kann dieses Auge zusätzlich an einer Schwachsichtigkeit, der sogenannten Amblyopie, leiden. Begleitsymptome können ausserdem ein Schiefhalten des Kopfes oder ein Zittern der Augen sein. 

Lähmungsschielen (sogenannter Strabismus paralyticus): Hierbei fällt einer oder mehrere der äusseren Augenmuskeln vollständig aus, wobei sich – je nach Blickrichtung – auch der Schielwinkel ändert. Das Lähmungsschielen tritt plötzlich auf, weshalb auch die Symptome plötzlich wahrgenommen werden. Ganz typisch ist hier das Sehen von Doppelbildern, wobei Betroffene auch über Schwindelgefühle und Übelkeit berichten. Zudem versuchen viele Patienten und Patientinnen, die Doppelbilder auszugleichen, indem sie ihren Kopf schief halten.   

Wer plötzlich schielt, sollte umgehend einen Arzt aufsuchen.  

Ursachen

Da Schielen sowohl angeboren als auch erworben sein kann, sind die Ursachen vielfältig. Es kann zum einen genetisch bedingt sein, zum anderen auf Risikofaktoren während Schwangerschaft oder der Geburt zurückzuführen sein, aber auch auf Refraktionsstörungen (auch Brechungsfehler) der Augen beruhen oder aufgrund von Verletzungen auftreten.  

Bei Refraktionsstörungen (Brechungsfehler) werden die in das Auge eindringenden Lichtstrahlen nicht auf der Netzhaut gebündelt und verursachen so eine verschwommene Sicht. Die Form des Auges oder der Hornhaut oder eine altersbedingte Steifheit der Linse können das Bündelungsvermögen des Auges einschränken. 

Im Einzelnen können folgende Faktoren ursächlich für das Schielen sein: 

  • Die Ursache für das sogenannte frühkindliche Innenschielen, eine Form des Begleitschielens wurde bis dato nicht herausgefunden. Als Risikofaktor gilt das Vorkommen von Schielerkrankungen innerhalb der Verwandtschaft. Eine Frühgeburt oder eine nicht korrigierte Weitsichtigkeit können ebenfalls dazu führen, dass ein Baby schielt. Ebenso, wenn das linke und das rechte Auge unterschiedlich fehlsichtig sind. Als weiterer Risikofaktor für das frühkindliche Innenschielen kann Sauerstoffmangel während der Geburt gesehen werden. 
  • Für das Lähmungsschielen kommen zahlreiche Ursachen in Betracht, zumal es häufig plötzlich auftritt und Menschen jeden Alters treffen kann. Auslöser für die mit dem Lähmungsschielen einhergehende Nervenlähmung, welche bewirkt, dass einer oder mehrere Augenmuskeln nicht mehr ordnungsgemäss funktionieren, kann beispielsweise eine Entzündung oder eine andere, ernsthafte Krankheit wie ein Tumor oder ein Aneurysma, die Aussackung eines Gefässes, sein. Und auch eine Durchblutungsstörung im Bereich der Augenmuskelnerven sollte in Betracht gezogen werden, zumindest in Fällen, in denen der Patient oder die Patientin an der Zuckerkrankheit oder unter erhöhtem Blutdruck leidet. 
  • Latentes Schielen macht sich nur selten bemerkbar, da es im Normalfall durch das beidäugige Sehen ausgeglichen wird, die Augen schauen zu jeder Zeit parallel. Um diesen Parallelstand aufrechtzuerhalten, führen die Augen kaum merkbare Ausgleichsbewegungen, die sogenannten Vergenzbewegungen, aus, welche durch den Bildeindruck im Gehirn gesteuert werden. Ist man müde oder hat man Alkohol getrunken, dann kann es vorkommen, dass dieser Parallelstand der Augen nicht mehr aufrechterhalten werden kann, was dazu führt, dass der Betroffene oder die Betroffene schielt und ausserdem Doppelbilder wahrnimmt. 
  • Des Weiteren kann sich das Schielen auch als Folge einer Augenkrankheit entwickeln, das sogenannte sekundäre Schielen. Hierfür kommen entweder eine Schwäche des Sehnervs, eine Trübung der Augenlinse oder eine längere Entzündung des Augeninneren als Ursachen infrage. 

Diagnose

Oftmals ist der Strabismus bereits offensichtlich: Die typische Augenstellung führt zu einer eindeutigen Diagnose. Doch auch die genannten Begleiterscheinungen können dem Arzt oder der Ärztin einen Hinweis auf das Schielen der Augen geben. 

Zunächst wird überprüft, ob ein sekundäres Schielen oder ein Zusammenhang mit einer anderen Erkrankung vorliegt. Ergibt die augenärztliche Untersuchung keinerlei Auffälligkeiten, ausser dem Schielen, wird die Brechkraft der Augen gemessen und gegebenenfalls eine Brille verschrieben. 

Diagnostiziert der Arzt oder die Ärztin hingegen ein Lähmungsschielen, dann wird in der Regel eine Magnetresonanztomografie (also eine MRT-Untersuchung) notwendig. Die dem Schielen eventuell zugrunde liegende Ursache wird dann von den jeweiligen Fachleuten weiterbehandelt. 

Zur Diagnose des Schielens der Augen stehen dem Augenarzt oder der Augenärztin zudem verschiedene Sehtests sowie orthoptische Tests zur Verfügung. Ein sehr wichtiger Test ist dabei der sogenannte Abdecktest, bei welchem zunächst ein Auge abgedeckt wird. Dann kontrolliert der Augenarzt, ob sich die Augenstellung des nicht abgedeckten Auges verändert oder gleichbleibt. Stellt sich das Auge neu ein, kann dies ein Hinweis auf das Vorliegen des Begleitschielens sein. Beim sogenannten Aufdecktest dagegen wird überprüft, ob das aufgedeckte Auge versucht, durch zusätzliche Bewegungen ein Zusammenführen der gesehenen Bilder zu bewirken. In diesem Fall kann ein latentes Schielen vorliegen.  

Wer hingegen plötzlich schielt, der sollte zeitnah einen Augenarzt oder eine Augenärztin aufsuchen. Der Arzt oder die Ärztin kann dann die entsprechenden Untersuchungen vornehmen und die geeignete Behandlung besprechen.  

Behandlungen

Die gute Nachricht ist, dass sich das Schielen durch eine frühzeitig eingeleitete Therapie in der Regel gut in den Griff bekommen lässt. 

Wird der Strabismus bereits im Kindes- oder Kleinkinderalter erkannt, reicht zumeist eine konservative Therapie zur Behandlung des Schielens der Augen aus und den Kindern bleibt somit zumeist ein operativer Eingriff erspart. Und auch bei Erwachsenen wird eine konservative Behandlung einer Operation vorgezogen. 

  • Schielt ein Kind, so wird ihm sowohl eine Brille als auch ein Augentraining verschrieben. Im Rahmen dieses Augentrainings (auch: Fusionsschulung) lernen die Kinder, die Doppelbilder wieder zusammenzuführen. Zudem wird versucht, mittels der sogenannten Okklusionstherapie eine möglicherweise beginnende Sehschwäche zu behandeln. Dabei werden beide Augen abwechselnd mit einem Pflaster bedeckt, welches über einen gewissen Zeitraum über dem jeweiligen Auge kleben bleibt. Dadurch wird das sehschwächere Auge «gezwungen», sich mehr anzustrengen, wodurch die Kinder gutes Sehen erlernen und das Schielen verlernen. 
  • Leidet ein Erwachsener oder eine Erwachsene an Begleitschielen, wird ihm oder ihr ebenfalls eine Therapie verschrieben, um das Stereosehen zu unterbinden und die volle Sehschärfe wiederherzustellen. Im Falle des Sehens von Doppelbildern kommt meistens eine sogenannte Prismenbrille zum Einsatz. Bei einer Prismenbrille handelt es sich um eine Brille, bei der auf das eine Brillenglas eine matte Folie geklebt wird, um so den Einfall der Lichtstrahlen zu verändern und das Stereosehen zu vermeiden. Auch Erwachsene können die Teilnahme an einer Fusionsschulung verordnet bekommen. Handelt es sich demgegenüber um ein sogenanntes Lähmungsschielen, wird die Ursache der Augenlähmung behandelt. Diese bildet sich in seltenen Fällen von selbst zurück. Manchmal bleibt das Schielen aber auch trotz einer Behandlung bestehen, weshalb auch hier eine Prismenbrille das Mittel der Wahl ist. 
  • Seit vielen Jahren wird Schielen weltweit entweder mit einer Augenmuskel-Operation oder seltener mit einer Injektion von Botulinum-Toxin (bekannt unter dem Markennamen Botox) in die Augenmuskeln behandelt. Beide Interventionen haben zum Ziel, dass die Augen wieder parallel stehen und der Schielwinkel reduziert wird. Bei der Schieloperation, auch Strabismus-Operation genannt, nimmt der Chirurg oder die Chirurgin durch eine Veränderung der äusseren Augenmuskeln Einfluss auf die Mechanik, die Beweglichkeit und die Stellung der Augen. Die Operation – bei Kindern in Vollnarkose, bei Erwachsenen unter örtlicher Betäubung – kann das Schielen der Augen zwar ausgleichen, allerdings sind ein Rückfall und erneutes Schielen nicht ausgeschlossen. 

Nachbehandlung

Um den Fortschritt der jeweiligen Behandlung zu dokumentieren, sind regelmässige Kontrolltermine wahrzunehmen. Nach einer Augenoperation versteht es sich von selbst, die vereinbarten Nachuntersuchungstermine wahrzunehmen und sich strikt an die Anweisungen des behandelnden Arztes oder der behandelnden Ärztin zu halten. 

FAQ

Welche weiteren Formen des Schielens gibt es?

Unter Schielen versteht die Medizin die andauernde oder immer wiederkehrende Fehlstellung eines Auges, das sogenannte monolaterale Schielen oder beider Augen, das sogenannte alternierende Schielen. Charakteristisch für das Schielen ist die Fehlstellung des Auges resp. der Augen, da der Blick dabei immer in unterschiedliche Richtungen geht. 

Beim Schielen sprechen Ärzte ausserdem vom sogenannten primären Strabismus, das heisst, das Schielen tritt ohne eine weitere Augenerkrankung auf. Demgegenüber wird unter dem Begriff des sekundären Strabismus ein Schielen bezeichnet, welches eine andere Erkrankung zur Ursache hat. So kann beispielsweise die Erblindung eines Auges – unabhängig von ihrer Ursache – zu einem Schielen führen, weil das erblindete Auge nicht mehr am Sehvorgang partizipiert.  

Wichtig zu wissen: Treten plötzlich Doppelbilder in Verbindung mit Symptomen wie herabhängenden Mundwinkeln oder einer einseitigen Lähmung auf, dann kann dies auch auf einen Schlaganfall hindeuten. 

Warum schielt der Mensch überhaupt?

Menschen schielen, wenn es zu einem Ungleichgewicht in der Augenmuskulatur kommt. Es gibt sechs äussere Muskeln pro Auge, welche die Bewegung des Augapfels steuern; dazu kommen zwei innere Augenmuskeln, die sich um die Grösse der Pupille kümmern und das Sehen in die Nähe beziehungsweise in die Ferne steuern. Beim Schielen ist das Gleichgewicht der Augenmuskeln durcheinandergekommen.

Welche Schielrichtungen gibt es?

In der Medizin wird zwischen dem einwärts gerichteten Schielen, sogenannter Strabismus convergens oder auch Esotropie genannt, bei dem ein Auge zur Nase gerichtet ist, und dem auswärts gerichteten Schielen, sogenannter Strabismus divergens oder auch Exotropie genannt, unterschieden. Schielt das Auge nach oben oder unten, nennt sich dies Vertikal- oder Höhenschielen. Und bei einer Drehung des Auges um die Sehachse spricht der Fachmann oder die Fachfrau vom sogenannten Verrollungsschielen. 

Welche klinischen Erscheinungsbilder gibt es beim Schielen?

  • Der manifeste Strabismus beziehungsweise das Begleitschielen (medizinisch: Strabismus concomitans) und das Lähmungsschielen (medizinisch: Strabismus paralyticus) zeichnen sich dadurch aus, dass die Blickrichtungen beider Augen ständig voneinander abweichen. Diese Formen werden medizinisch behandelt. Dabei tritt das Begleitschielen oftmals bereits im Baby- oder Kindesalter auf. Beim Lähmungsschielen kommt es zu einer Lähmung der Augenmuskel, welche in der Regel durch eine vorangegangene Entzündung oder Verletzung ausgelöst wird. 
  • Der latente Strabismus (medizinisch: Heterophorie) bezeichnet oftmals lediglich eine Belastungserscheinung und bleibt deshalb meist unbehandelt, zumal das Gehirn trotzdem in der Lage ist, das Schielen durch die geringfügige Störung beider Sehstellungen auszugleichen.